veröffentlicht in „Im Blickpunkt“ (Mitgliederzeitung der Sektion Obergailtal-Lesachtal des Österreichischen Alpenvereins, Kötschach-Mauthen), Nr. 57, Winter 2004/05, S. 15 (Teil 1) und Nr. 59, Sommer 2005, S. 8 (Teil 2)

 

Ein neuer Weg auf den Rosskofel

Über den "Sentiero dei Camosci" durch die Creta di Pricot-Südwand

(von Martin Fürnkranz)

 

     Es war im Hochwinter 2003/04, als ich auf einer meiner kuriosen Skitouren, die außer mir wohl sonst niemand durchführt, die Abzweigung eines markierten Weges entdeckte, der auf keiner Karte verzeichnet ist. Ich nutzte damals das nur alle Schaltjahre (oder noch seltener) auftretende Ereignis, daß sich bis ganz hinab nach Pontebba eine kompakte Schneedecke gebildet hatte und somit auch die tiefgelegensten Südhänge reichlich schneebedeckt waren. Schon oft hatte ich in vergangenen Jahren erlebt, daß zwar in Tröpolach sehr viel Schnee lag, im etwa gleich hohen Pontebba hingegen noch alles aper war - und das trotz Adriatiefs von Süden, also eigentlich unerklärlich...

     Von Studena bassa stieg ich auf der steilen Forststraße empor zur Conca di Pricot (eine schöne Alm mit weitverstreuten Hütten), und weiter Richtung Forcje dai Claps (eine Scharte westlich vom Rosskofel) und Trögl (Creta di Rio Secco). Die Straße wurde übrigens vor einigen Jahren verlängert und führt jetzt bis nördlich oberhalb des Prihatitschkopfs (Monte Pricot) hinauf (und dann wieder westseitig hinab). Genau auf ihrem höchsten Punkt (ca. 1420 m) beginnt jetzt der CAI-Steig Nr. 432, und nur etwa 2 Minuten danach zweigt rechts die erwähnte neue rote Markierung ab. (Es stellte sich übrigens im Nachhinein als Routenwahlfehler heraus, mit Skiern dem markierten 432er-Weg folgen zu wollen, da man etwas tiefer wesentlich leichter den Hang nach Westen queren kann. Doch genau dieser Fehler sollte mir eine tolle "Geheimtour" für den folgenden Sommer bescheren!)

     Es war mir eigentlich schon im Winter klar, daß dieser Weg nur auf die Conca di Pricot führen kann (mit 2252 m laut Tabacco-Karte übrigens etwas höher als der benachbarte Rosskofel, der nur 2239 m aufweist!), doch erst im September 2004 konnte ich die Felsaufschrift "Cima Pricot" bei der Abzweigung lesen. Ein schön trassiertes Steiglein folgt von hier einem kleinen Rücken durch steilen Wald bis zum Felsfuß auf ca. 1600 m. Hier wendet sich die Markierung nach links in steiles, ausgesetztes Grasgelände, und folgt bald einer Grasrinne empor. Von einem Steig kann jetzt nicht mehr die Rede sein, vielmehr von einer weglosen, aber dafür sehr gut markierten Route.

     Dieses "Grasklettern" erfordert eine eigene Technik, die sich vom Felsklettern deutlich unterscheidet: In jedem Fall braucht man dazu auch die Hände, und das nicht nur zum Gleichgewichthalten! Als Griffe sollte man möglichst viele Grashalme gleichzeitig fassen, doch auch diese niemals voll belasten (sondern stets mit zumindest einem Fuß nach einem guten Tritt trachten). 

     Kurz nach einem überraschenden Rechtsknick erreicht man das Steigbuch, eingeschlossen in einer sonderbaren Mischung aus Fliegerbombe und Kuhglocke, ganz in Rot gehalten und mit der Aufschrift "Sentiero dei Camosci" versehen (bedeutet übersetzt "Gemsenweg"). Ich konnte nicht feststellen, was die Hülle wirklich darstellen sollte, konnte damit aber zumindest laut läuten(!) und wunderte mich, wie jemand so etwas Schweres überhaupt hier hinauf schleppen konnte. Dann kam die nächste große Überraschung als ich das Buch aufschlug: Erst ganze vier Eintragungen waren für dieses Jahr vermerkt, die letzte vor genau einem Monat! Die beiden Jahre davor waren nicht viel besser. Geschaffen wurde dieser Weg laut Buch im Jahr 2002.

     Sofort nach dem Steigbuch kommt die Schlüsselstelle: Einige Meter über noch steileres, noch ausgesetzteres Gras gerade empor, direkt über einer senkrecht abstürzenden Felswand! Nichts für schwache Nerven, nichts für Nässe, und keinesfalls für den Abstieg!

     Danach wird noch ein wenig weiter "grasgeklettert" (durch eine zweite Rinne). Dabei sehe ich auch einige Gemsen über mir dahinhuschen und weiß nun, daß der Weg seinen Namen zu Recht trägt. Schließlich wird grasiges Gehgelände erreicht, wo eine schier endlose, monotone Diagonale zurück nach rechts bis zu einem markanten Absatz auf einer kleinen Nase leitet (ca. 2000 m).

     Ab hier hat man erstmals Felskontakt wenn man ca. 50 m über gut gestuften Fels im I. Grad aufklettert. Danach erreicht man (wiederum über grasiges Gehgelände) in Kürze den altbekannten Rosskofel-Ostgratweg, etwa 2 Minuten östlich des Ostgipfels der Creta di Pricot, auf welchem eine große Steinpyramide thront (ca. 2030 m). Die Einmündung kann von oben nicht erkannt werden - und das ist auch gut so! In weiteren 5 Minuten steht man am Hauptgipfel (durch einen kleinen Holzpflock markiert), von wo durch eine kleine Einsattelung hinweg weiter zum Gipfelkreuz des nahen Rosskofels gewandert werden kann.

     Fazit: Kein Klettersteig, keine Freikletterroute, kein Wanderweg, aber eine interessante Direktroute mit intelligent ausgetüftelter Routenführung - sehr gut durchlaufend mit roten Farbtupfen markiert - durch die schrofendurchsetzte Südwand der Creta di Pricot, durch welche man selbst im AV-Führer "Karnischer Hauptkamm" von P. Holl traurigerweise keine einzige(!) Route findet.

 

Zurück